Bilanz der Entwaldung
Vor etwa 200 Jahren waren rund 16 Millionen Quadratkilometer um den Äquator herum mit noch weitgehend intaktem tropischem Regenwald bedeckt. Heute sind es Schätzungen zufolge nur noch rund 4 - 5 Millionen Quadratkilometer. Der größte Teil dieser Vernichtung erfolgte in den vergangenen 40 Jahren. Es wird geschätzt, dass in jeder Minute 6000 Bäume gefällt werden. Wenn die Entwicklung so weitergeht, sind die Regenwälder in ca. 35 Jahren verschwunden. Eine genauere Flächenangabe variiert je nach Quelle und der Definition, was als intakter oder degradierter Regenwald gilt. "Degradiert" beschreibt Wälder, die durch menschliche Eingriffe wie selektiver Holzeinschlag, Waldbrände oder deren Ränder von landwirtschaftlichen Flächen beschädigt wurden. Sie haben eine geringere Artenvielfalt, eine weniger dichte Baumstruktur und sind anfälliger für weitere Schäden. Etwa ein Drittel der verbliebenen Regenwälder sind demnach als degradiert anzusehen!
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Die Bedeutung indigenen Wissens zur Förderung der Biodiversität
Indigene Völker, ich meine ausdrücklich solche, die sich der Einflussnahme durch unsere moderne Welt
bisher widersetzen konnten, leben im Einklang mit der Natur. Sie haben über Generationen Wissen und
Praktiken entwickelt, um den Wald tatsächlich nachhaltig zu nutzen und zu schützen. Ihr Wissen über
Pflanzenkunde, nachhaltige Landwirtschaft und Naturschutz könnte von unschätzbarem Wert für die
Bewältigung der heutigen Umweltprobleme sein. Betonung “könnte”, denn die Realität sieht bekanntlich
anders aus.
Derartige Naturvölker mit Jäger- und Sammler-Lebensweise existieren noch im Amazonasgebiet, wo sie
den Wald zu ihrem Nutzen geformt haben. Schon ihre Vorfahren haben Bäume gesät, damit sie heute
Nahrung und Kleidung haben. Die Amazonas-Völker haben also die biologische Vielfalt entscheidend
beeinflusst und befördert. Viele Teilgebiete des ursprünglich erscheinenden Amazonas-Waldes wären
demnach das Ergebnis planvoller menschlicher Handlungen. Einige Baumarten, die mancherorts auffällig
oft vorkommen wie z.B. Kakao, Acai oder Paranüsse, sind deshalb so häufig, weil sie von Menschen
gepflanzt wurden, die dort schon Jahrtausende vor dem Eintreffen der europäischen Kolonisatoren
lebten.
Offensichtlich haben die indigenen Bewohner den Amazonas-Regenwald zu ihrem Nutzen geformt. Was uns
als natürlicher Dschungel erscheint, wäre demnach auch das Ergebnis Jahrtausende langer menschlicher
Handlung. Jäger und Sammler zogen seit ewigen Zeiten durch das Amazonas-Flachland. Ihr Leben hängt
davon ab, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Baum zu sein und die Zeichen des Waldes lesen zu
können. Sie müssen dort sein, wenn die Bananen reif sind, wenn die kokosnuss-großen Früchte der
Paranüsse von den 50 Meter hohen Bäumen fallen, wenn die Ölfrüchte der Palmen reif sind.
Da das exakte Wissen über den Lebenszyklus der Bäume entscheidend für die Menschen ist, haben sie
eine nahezu wissenschaftlich anmutende präzise Namensgebung der Pflanzen in unterschiedlichen
Lebenszyklen entwickelt. So hat die Palme einen bestimmten Namen, wenn sie jung und noch nicht
geschlechtsreif ist, heißt anders, wenn sie die ersten Knospen entwickelt oder blüht, Früchte trägt
oder dafür zu alt ist.
Auch die einzelnen Bestandteile eines Baumes von der Wurzel bis zur Blüte haben einen spezifischen
Namen. Die Naturvölker drücken damit nicht nur präzise aus, um was es sich handelt. Sie sagen auch,
wie man die Wurzel, Rinde, Frucht oder das Blatt nutzen kann. Und sie wissen genau, welches Tier am
liebsten welche Pflanze frisst – ein entscheidender Vorteil auf der Jagd. Der Baum ist für die
Naturvölker ein Lebewesen wie Mensch, Affe oder Tapir, in ständiger Entwicklung zwischen Geburt und
Tod. Sie sind Experten darin, die Zeichen vergangener menschlicher Aktivität in den Wäldern zu lesen
und schnell darin, Veränderungen im Wald einer breiten Palette von Akteuren zuzuschreiben. Sie
merken also, ob eine Herde Brüllaffen oder eine Gruppe Klammeraffen durch die Baumkronen geturnt
ist.
Für ein realistisches Bild ist es wichtig zu bedenken, dass heutzutage bei den meisten Stämmen der
amazonischen Urbevölkerung die beschriebenen traditionellen Praktiken kaum noch relevant sind,
geschweige denn zur Anwendung kommen. Einige Riten werden zwar noch gepflegt und versucht zu
erhalten, doch längst regiert in den meisten Fällen der dominante Einfluss der modernen Welt mit der
Macht des Geldes. Die Konsequenzen sind leider klar und deutlich. Die Verantwortung für das Desaster
tragen wir alle, was ich mit diesem Artikel noch einmal verdeutlichen wollte (nicht ermutigend und
schlechte Laune machend, sorry).
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