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Kahlschlag im Namen des Fortschritts - ein Dilemma
Leider sehe ich mich schmerzlich genötigt, die Regenwaldzerstörung auszusprechen. Wer nicht völlig blind
und gleichgültig in entsprechenden Gebieten unterwegs ist, wird unausweichlich mit diesem Thema
konfrontiert. Es soll hier nicht zu groß aufgemacht werden, da ich mich in keiner Aktivisten-Rolle sehe
und dafür weder ausreichend Energie, Macht und Zeit aufbringen kann. Ich kann aber versuchen, deren
Ursachen zu ergründen.
Am Beispiel indigener Bewohner abgelegener Urwald-Dörfer will ich das Dilemma verdeutlichen. Sie leben
zwar relativ isoliert und autark, haben sich aber in den meisten Fällen weitestgehend von ihren
Traditionen entfernt. Das hat sie auch von Alimentierungen aus der imaginären, fernen und “besseren
Welt” abhängig gemacht, bzw. von Beziehungen mit ihr. Theoretisch könnten sie gemäß ihrer Traditionen
nachhaltig wirtschaften, jedoch erfährt ihr dazu gebrauchtes indigenes Wissen bei Außenstehenden kaum
Wertschätzung und wenn, dann nur aus Profitgründen.
So musste ich während meiner Besuche und in Gesprächen mit diesen Menschen häufig feststellen, dass sie
tendenziell unzufrieden oder unglücklich mit ihrer Lebenssituation waren. Sie fühlten sich irgendwie
permanent benachteiligt. Einer ihrer häufigsten Wünsche und Forderungen war z.B. eine Straßenverbindung
zur vermeintlich bessergestellten Außenwelt. Oft interessieren sich junge Männer auch dafür, wie viel
Geld man in Deutschland verdient.
Nun kenne ich mittlerweile viele Beispiele, wo genau dieser Straßenanbindungs-Wunsch realisiert wurde.
Um von diesen Orten aus noch auf einen intakten Urwald zu treffen, der bisher direkt am Dorfrand begann,
musste ich erst stundenlang wandern. Straßenbau durch Regenwälder führt somit zwangsläufig zur weiteren
Waldvernichtung. Diese Erkenntnis ist jetzt nicht überraschend.
Aber wie sollte man sich gegenüber den Forderungen und Wünschen der Dorfbewohner verhalten? Ich sehe
hier leider direkt bei uns eine Mitschuld an dem Dilemma. Denn ganz subtil, unbewusst und unbeabsichtigt
erzeugen wir bei diesen Menschen Bedürfnisse, die sie ohne unsere “Weisheiten” nie hätten. Einerseits
möchten wir ihnen uns sinnvoll erscheinende Errungenschaften ja unbedingt angedeihen lassen. Auch Geld,
das wir dort lassen, kann in diesem Zusammenhang kritisch gesehen werden.
Letztendlich übertragen wir unseren Fortschritts-Wahn, den ich auch gerne mit der Gier vergleiche oder
gleichsetze, in die Köpfe der Indigenen. Die Grundlage für diesen Prozess wurde bereits während der
Kolonialisierung durch die vielen Missionare geschaffen. Es war der Anfang der Zerstörung einer über
Jahrtausende funktionierenden Ausgewogenheit zwischen Mensch und Natur.
Eine philosophische Betrachtung des Grundübels:
Menschliche Gier trifft auf Natur ohne Rechte
Diesen Aspekt halte ich sowohl aus politischer als auch aus erkenntnistheoretischer Sicht für sehr
relevant. Aus politischer Sicht verteidigen die Rechte der Natur eine biozentrische Perspektive der
Beziehung zwischen Mensch und Natur. Das steht aber im Widerspruch zur anthropozentrischen Sichtweise
und geht normalerweise mit dem modernen Konstitutionalismus einher. Aus erkenntnistheoretischer Sicht
stützen sich paradigmatische Ansichten über Rechte der Natur auf indigenes Wissen, das im Allgemeinen
nicht als legitime Quelle für rechtliches und politisches Wissen angesehen wird.
Das Lügen-Konzept der “nachhaltigen Forstwirtschaft"
Dabei handelt es sich selbstverständlich um eine fortschrittliche Erfindung der Holzindustrie, bei der
vorzugeben versucht wird, dass sich Ökologie und Ökonomie vermischen lassen. Das Resultat ist ja in
unseren komplett verschandelten Wäldern überdeutlich ersichtlich. Nun wird aber leider genau dieses, bei
einer Holzindustrie-Lobby sehr willkommene Konzept auch auf die Regenwälder kopiert: D.h. Brauchbares
darf entnommen werden und der wertlose Rest bleibt stehen. Die offizielle, höchst scheinheilige
Erklärung für diesen Eingriff nennt sich “Verjüngung”, im Sinne von Platz schaffen für den Nachwuchs.
Dazu bekommt alles noch einen wissenschaftlich untermauerten Nachhaltigkeits-Anstrich, um es der
Öffentlichkeit als fortschrittlich zu präsentieren.
Viele der wertvollen Baumarten brauchen aber bis zum Erreichen einer stattlichen Höhe mehrere 100 Jahre.
Und intakte Regenwälder basieren und funktionieren nach dem “Etagen”-Prinzip. Es bleibt unerwähnt, dass
sozusagen nur ein “kastrierter” Regenwald mit vernichtenden Konsequenzen für die Artenvielfalt übrig
bleibt. Die Holzindustrie ist mit dieser Raubbau-Verschleierungstaktik auch völlig legal in
Schutzgebieten oder Nationalparks aktiv.
Mir fällt in diesem Zusammenhang immer eine wissenschaftlich gedeckte Lüge der Tabakindustrie aus den
60er Jahren ein, in der öffentlichkeitswirksam das Rauchen als gesundheitsförderlich dargestellt wurde.