Fortschritt und Naturzerstörung

Bilanz der Entwaldung

Vor etwa 200 Jahren waren rund 16 Millionen Quadratkilometer um den Äquator herum mit noch weitgehend intaktem tropischem Regenwald bedeckt. Heute sind es Schätzungen zufolge nur noch rund 4 - 5 Millionen Quadratkilometer. Der größte Teil dieser Vernichtung erfolgte in den vergangenen 40 Jahren. Es wird geschätzt, dass in jeder Minute 6000 Bäume gefällt werden. Wenn die Entwicklung so weitergeht, sind die Regenwälder in ca. 35 Jahren verschwunden. Eine genauere Flächenangabe variiert je nach Quelle und der Definition, was als intakter oder degradierter Regenwald gilt. "Degradiert" beschreibt Wälder, die durch menschliche Eingriffe wie selektiver Holzeinschlag, Waldbrände oder deren Ränder von landwirtschaftlichen Flächen beschädigt wurden. Sie haben eine geringere Artenvielfalt, eine weniger dichte Baumstruktur und sind anfälliger für weitere Schäden. Etwa ein Drittel der verbliebenen Regenwälder sind demnach als degradiert anzusehen!

Sozioökonomisches Dilemma

Individuell rationales Verhalten, Interessen oder Gewohnheiten stehen leider (zu) oft mit Gemeinwohl-Interessen im Konflikt, was zu kollektiv ineffizienten oder irrationalen Ergebnissen führt. Eine geteilte Ressource wird also durch individuelle Übernutzung ruiniert. Stark unterstützend wirken wirtschaftsideologische Maximen, machtpolitische Interessen, wissenschaftliche Forschung, technische Erschließung, die einander bedingen und in der Arroganz der Machbarkeit gegenüber der außermenschlichen Natur münden.

Wirtschafts- und Sozialdarwinismus

Obwohl die längst als überholt angesehene Teilaspekte-Übertragung vom Darwinismus auf menschliche Gesellschaften und insbesondere ihre Wirtschaftsökonomie, sind die Parallelen kaum zu leugnen. Es offenbart, wie unser gegenwärtiges Handeln sich mit dem Abbild der Regenwälder vergleichen lässt; eine Gegenwart, in der Menschenrechte und Humanismus wenig zählen, stattdessen Selbstsucht, Kriege und rigider Wirtschaftsdarwinismus Mittel zum Erfolg sind. Wir glauben, dass wir uns kraft unseres Bewusstseins von solchen Prinzipien der Evolution emanzipiert haben. Doch in unserem Verhalten - Mensch gegen Mensch, Mensch gegen Natur - sind wir mindestens so aggressiv wie Treiberameise und Lanzenotter.

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Kahlschlag im Namen des Fortschritts - ein Dilemma

Leider sehe ich mich schmerzlich genötigt, die Regenwaldzerstörung zu thematisieren. Wer nicht völlig blind und gleichgültig in entsprechenden Gebieten unterwegs ist, wird unausweichlich damit konfrontiert. Es soll hier nicht zu groß aufgemacht werden, da ich mich in keiner Aktivisten-Rolle sehe und dafür weder ausreichend Energie, Macht und Zeit aufbringen kann. Ich kann aber versuchen, deren Ursachen zu ergründen, wobei letztendlich und ehrlicherweise auch meine indirekte "Mittäterschaft" erkennbar wird.

Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts konnten auch abgelegene Regionen mit Raupenfahrzeugen und schweren Lastwagen erschlossen und Straßen in vorher unzugängliche Gebiete gebaut werden. Arme Bauern und reiche Rinderzüchter brannten Urwald ab, um Acker- oder Weideflächen anzulegen - eine der Hauptursachen für die Waldvernichtung. Sammeln von Feuerholz und massiver Holzexport trugen ebenfalls zum Schwund bei. Seit den 1960er Jahren nahmen Ausmaß und Tempo des Kahlschlags dramatisch zu: In nur 3 Jahrzehnten, von 1960 bis 1990, ging ein Fünftel der gesamten tropischen Regenwaldfläche verloren.

Einzelne Länder wie die Elfenbeinküste büsten rund 65% ihres Waldes ein. Als der Staat zu Afrikas Hauptexporteur für Tropenholz avancierte, verzehnfachte sich die Produktion unverarbeiteter Baumstämme von 400.000 Kubikmeter im Jahr 1958 auf 4 Millionen Kubikmeter in den 1980er Jahren. Die Holzausfuhr aus dem Land kam zum Erliegen, weil kaum noch erschließbarer Wald vorhanden ist.

In Asien haben Umsiedlungsprogramme, enorme Holzeinschläge sowie Umwandlungen in Ölpalmen-, Gummi- und Nutzholzplantagen riesige Primärwaldflächen vernichtet. Beispielhaft stellte die Insel Borneo noch bis in die 1970er Jahre ein in sich geschlossenes Naturwunder mit Regenwäldern von ungeheurer Pracht und Fülle des Lebens dar. Ebenso hatte die Insel Sumatra mal den Ruf einer Urwaldinsel. Doch dann mündete der Aberglaube, sowohl die Überbevölkerung wie Wirtschaftswachstum durch Zerstörung des natürlichen Lebensraums steuern zu können, in ein beispielloses Desaster. Eine Waldverwüstung in einem Ausmaß, gegen das auch der Naturschutz keine Chance hatte.

Am Beispiel indigener Bewohner abgelegener Urwald-Dörfer will ich das Dilemma verdeutlichen. Sie leben zwar relativ isoliert und autark, haben sich aber in den meisten Fällen weitestgehend von ihren Traditionen entfernt, auch durch unseren Einfluss seit der Kolonialzeit. Somit sind sie eingebunden in das Wirtschaftssystem und abhängig vom Geld, träumen von der imaginären, fernen und “besseren Welt”. Traditionelles Wissen wird nicht mehr gebraucht, erfährt bei Außenstehenden kaum Wertschätzung, es sei denn, aus Profitgründen.

So musste ich während meiner Besuche und in Gesprächen mit diesen Menschen häufig feststellen, dass sie tendenziell unzufrieden mit ihrer Lebenssituation waren. Sie fühlten sich irgendwie permanent benachteiligt. Einer ihrer häufigsten Wünsche und Forderungen war z.B. eine Straßenverbindung zur vermeintlich bessergestellten Außenwelt. Oft interessieren sich junge Männer auch dafür, wie viel Geld man in Deutschland verdient.

Nun kenne ich mittlerweile viele Beispiele, wo genau dieser Straßenanbindungs-Wunsch realisiert wurde. Um von diesen Orten aus noch auf einen intakten Urwald zu treffen, der bisher am Dorfrand begann, muss man erst stundenlang wandern. Straßenbau durch Regenwälder führt somit wenig überraschend und zwangsläufig zur weiteren Waldvernichtung.

Aber wie sollte man sich gegenüber den Forderungen und Wünschen der Dorfbewohner verhalten? Ich sehe hier leider direkt bei uns eine Mitschuld an dem Dilemma. Denn ganz subtil, unbewusst und unbeabsichtigt erzeugen wir bei diesen Menschen Bedürfnisse, die sie ohne unsere “Weisheiten” nie hätten. Andererseits möchten wir ihnen uns sinnvoll erscheinende Errungenschaften des Fortschritts ja unbedingt angedeihen lassen. Auch Geld, das dort gelassen wird, kann in diesem Zusammenhang kritisch gesehen werden.

Letztendlich übertragen wir unseren Fortschritts-Wahn, den ich auch gerne mit der Gier vergleiche oder gleichsetze, in die Köpfe der Indigenen. Die Grundlage für diesen Prozess wurde bereits während der Kolonialisierung geschaffen. Es war der Anfang der Zerstörung einer über Jahrtausende funktionierenden Ausgewogenheit zwischen Mensch und Natur.

Eine philosophische Betrachtung des Grundübels:

Menschliche Gier trifft auf Natur ohne Rechte

Diesen Aspekt halte ich sowohl aus politischer als auch aus erkenntnistheoretischer Sicht für sehr relevant. Aus politischer Sicht verteidigen die Rechte der Natur eine biozentrische Perspektive der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Das steht aber im Widerspruch zur anthropozentrischen Sichtweise und geht normalerweise mit dem modernen Konstitutionalismus einher. Aus erkenntnistheoretischer Sicht stützen sich paradigmatische Ansichten über Rechte der Natur auf indigenes Wissen, das im Allgemeinen nicht als legitime Quelle für rechtliches und politisches Wissen angesehen wird. Fazit: Erkenntnis allein reicht nicht zur Abhilfe.

Das Lügen-Konzept der "nachhaltigen Forstwirtschaft"

Dabei handelt es sich selbstverständlich um eine fortschrittliche Erfindung der Holzindustrie, bei der vorzugeben versucht wird, dass sich Ökologie und Ökonomie vermischen lassen. Das Resultat ist ja in unseren oft komplett als Plantagen verschandelten Nutzwäldern überdeutlich ersichtlich.

Nun wird aber leider genau dieses, bei einer Holzindustrie-Lobby sehr willkommene Konzept auch auf die Regenwälder kopiert: D.h. Brauchbares darf entnommen werden und der wertlose Rest bleibt stehen. Die offizielle, höchst scheinheilige Erklärung für diesen Eingriff nennt sich “Verjüngung”, im Sinne von Platz schaffen für den Nachwuchs. Dazu bekommt alles noch einen wissenschaftlich untermauerten Nachhaltigkeits-Anstrich, um es der Öffentlichkeit als fortschrittlich zu präsentieren.

Doch viele der begehrten Baumarten brauchen bis zum Erreichen einer stattlichen Höhe mehrere 100 Jahre. Und intakte Regenwälder basieren und funktionieren bekanntlich nach dem “Etagen”-Prinzip mit zahlreichen Symbiosen. Z.B. hat sich im Falle des amerikanischen Mahagoni (Swietenia macrophylla) erwartungsgemäß herausgestellt, dass mit jedem geschlagenen Baum für eine Transportschneise zwangsläufig viele weitere gefällt werden. Somit sind derartige großflächige Störungen durch “Einzel-Fällungen” für das sehr komplexe Ökosystem problematisch, weil die Auswirkungen nur schwer abzuschätzen sind.

Es bleibt unerwähnt, dass sozusagen nur ein “kastrierter” Regenwald mit vernichtenden Konsequenzen für die Artenvielfalt übrig bleibt. Die Holzindustrie ist mit dieser als "nachhaltig deklarierten" Raubbau-Verschleierungstaktik sogar völlig legal in Schutzgebieten oder Nationalparks aktiv.

Mir fällt in diesem Zusammenhang immer eine wissenschaftlich gedeckte Lüge der Tabakindustrie aus den 60er Jahren ein, in der öffentlichkeitswirksam das Rauchen als gesundheitsförderlich dargestellt wurde.

Regenwälder retten und erhalten

Ein kollektives Versagen!

Mit diesem “idyllischen” Foto will ich zeigen, dass längst auch bei den Indigenen der “Fortschritt” angekommen ist. Die Konsequenzen sind in der Umgebung, hier nur am Beispiel vom Dorf Kwamalasamutu, auch mit nicht-geschultem Blick deutlich auf dem Satellitenbild zu erkennen ➔ 2°21'23.0"N 56°47'12.0"W.

Die Gier nach dem Edelmetall, das eigentlich kein Mensch braucht, hinterlässt dauerhaft diese Wunden von einer illegalen Goldmine im Regenwald (Luftaufnahme, Guyana). Die Regierung kann (oder will?) kaum dagegen vorgehen, denn korrupte Machenschaften spielen wahrscheinlich auch eine große Rolle.

Selbstverständlich alles Öko bei dieser luxuriösen “Eco Lodge” mitten im Regenwald von Surinam. Alles wird in höchsten Tönen als nachhaltiges Konzept beworben, um Touristen zu locken, damit sie kein schlechtes Gewissen haben. Aber Luxus-Tourismus im Regenwald ist Schwachsinn und gewissenlos.