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… ein kollektives Versagen
Es existieren unzählige wirksame, wissenschaftlich untermauerte Möglichkeiten zur Regenwald-Rettung bzw.
-Erhaltung: Nachhaltige Anbaumethoden, Schutzmaßnahmen vor Ort, politische Vorgaben oder persönliches
Engagement können beispielsweise dazu gehören. Solche und viele weitere Konzepte sind hinlänglich
bekannt. Doch woran liegt es, dass sie nicht zur Anwendung kommen oder kaum wirken und die
Regenwaldflächen stattdessen immer weiter schwinden? Die Antwort dürfte ebenso wenig überraschen: Die
vorherrschenden kapitalistischen System- und Machtverhältnisse dürften das Dilemma begründen.
Fatalerweise vermögen selbst engagierte Naturschützer das ökologische Desaster der Regenwaldvernichtung
nicht zu bremsen. Denn Naturschutz ist auch nur Ergebnis eines langen Prozesses, der zu den
gegenwärtigen menschlichen Denk- und Verhaltensweisen geführt hat. Naturwissenschaftliche, insbesondere
geographische und biologische Forschung, technische Erschließung, wirtschaftsideologische Maximen,
machtpolitische Interessen bedingen einander und münden in der Arroganz der Machbarkeit gegenüber der
außermenschlichen Natur. Die aus diesem Prozess resultierende Verheerung der Urwälder am Ende mit
Schutzbestrebungen umkehren zu wollen funktioniert bis heute nicht. So ist Naturschutz in den Tropen
nichts als eine sympathische Illusion. Geboren aus dem gleichen Geist, aus dem auch die Zerstörer
handeln.
Gewinnmaximierung und der Zwang zum Wirtschaftswachstum stehen im direkten Widerspruch zur ökologischen
Stabilität und Nachhaltigkeit. Sämtliche Produktionsweisen mit Profitlogik sind für die Ausbeutung der
Natur verantwortlich, verstärkt durch Ungeduld und Kurzfristigkeit der Renditerechnung. Das Abholzen
eines unwiederbringlichen Waldes erscheint in den Büchern als Gewinn, in der Natur als Verlust.
Die gesellschaftlich-sozialen Fragen sind ebenfalls nicht von ökologischen Herausforderungen zu trennen.
Insbesondere wird die weltweite soziale Gleichstellung nicht ohne weiteres wirtschaftliches Wachstum zu
erreichen sein, zumal wenn man den Lebensstandard Mitteleuropas als Ziel humaner Existenz ansieht. Die
meisten Menschen in westlichen Gesellschaften wissen – oder haben zumindest eine vage Ahnung davon –,
dass ihr Lebensstil und Wohlstand auf Kosten der Natur geht, nicht nur die Regenwälder betreffend.
Sie wissen, dass die Produktion eines Großteils ihrer Kleidung oder Elektronik auf
Ausbeutungsverhältnissen in sog. Schwellenländern beruht und die Erderwärmung beschleunigt. Die
Elektronik- oder andere Billigartikel kaufen sie trotzdem. Es ist weniger ein Vorwurf als eine
Zustandsbeschreibung. Allein deshalb, weil sich kaum jemand, selbst der noch so bewusste Verbraucher,
diesem Widerspruch völlig entziehen kann. Das Problem einer wirksamen Konsumkritik liegt nicht darin,
dass sie es mit mangelndem Bewusstsein zu tun hätte. Falls doch, dann bräuchte es "nur" Aufklärung.
Das Problem ist eher, dass Hochkonsumkulturen auf einer Art kollektiven Akt der Verdrängung beruhen, auf
der schlichten Tatsache, dass das Lustprinzip in der Regel das Realitätsprinzip aussticht. So
unzweifelhaft die Erkenntnis ist, dass die Konsumsteigerung zu irreversiblen Folgeschäden führt, und so
klar die Einsicht, dass insbesondere westliche Gesellschaften ihr Verbrauchsniveau signifikant senken
müssten – die Konsumkritik umfasst in der Praxis dennoch eine Reihe fundamentaler Widersprüche, von
denen viele sich kaum auflösen lassen.
Es ist mittlerweile zwar im öffentlichen Bewusstsein angekommen, dass die Hochkonsumkulturen soziale und
ökologische Verwerfungen nach sich ziehen. Aber das individuelle und kollektive Verbraucherverhalten
ändert sich, wenn überhaupt nur sporadisch. Es geht hier weniger um ein Erkenntnisdefizit als um ein
Handlungsdefizit. Hinzu kommen noch bloßes Desinteresse oder, vermutlich sogar noch häufiger, das
Handeln wider besseres Wissen.