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Der Wald macht sie alle gleich
Trotz ihrer ethnischen Vielfalt haben sich die menschlichen Bewohner der Regenwälder von Australien bis
Brasilien auf ähnliche Weise dem grünen Kosmos angepasst. Darum ist es ihnen über Jahrtausende gelungen,
in und von dieser Umwelt zu leben, ohne sie zu schädigen. Ein Urwissen, das den Kolonialisten bis heute
fremd geblieben ist.
Vor allem die Beschränkung in der Materialkultur ist allen Regenwaldbewohnern eigen. Und wo Natur so
besitzergreifend ist wie im Regenwald, ist möglichst wenig Besitz Naturgesetz. Im wahrsten Sinne
Naturvölker, die in jahrtausende langer Anpassung an ihren Lebensraum dessen Artenvielfalt gleichzeitig
zu nutzen und zu meiden gelernt haben. Um im Regenwald überleben zu können, entwickelten dessen Bewohner
spezielle Techniken für die Ernährung und die Behausung sowie Drogen und Tabus für die mentale
Bewältigung des Unfassbaren. Inmitten von Abermillionen einander unablässig fressender Spezies, einem
System, das dem Menschen buchstäblich alles abverlangt, ähneln sich zwangsläufig die Methoden der
Selbsterhaltung. Deren oberste Regel: Energie sparen!
Tötungsgifte, Betäubungsmittel, Drogen - der Regenwald hält all das bereit. Ohne solche Substanzen und
deren gezielte Anwendung zu kennen, wäre der Mensch in dem grünen Labyrinth verloren, das für Unkundige
zum Irrenhaus wird. Denn das was in Salz-, Sand- und Eiswüsten die Artenarmut bewirkt, das schafft im
Regenwald dessen erdrückende Artenvielfalt: Wer sich darin nicht auskennt, für den wird das grüne
Universum auch zur “Wüste” - so der altindische Sanskrit-Begriff “jangala”, von dem sich das englische
Wort “jungle” ableitet.
Um in dieser extremen Wildnis existieren zu können, musste sich der Dschungelmensch an die Spitze der
unendlich langen Kette bereits vorhandener Lebewesen vorarbeiten, bis über die Könige der Wälder hinaus.
Er musste lernen, Jaguar, Tiger, Panther und Co. listenreich zu besiegen und der unbezwingbaren Ameise
letztlich aus dem Weg zu gehen.
Die ungefilterte Natur, die nackte Wucht der Wildnis hält kein Mensch aus - ohne Vermittler, ohne Flucht
aus der realen Welt in die Welt des Übersinnlichen, der Geister, der Ahnen, der Götter - zu seinem
Schöpfer.
Ein Medium für solche Entrückung ist der Rausch, ein Schweben zwischen Tag und Traum. In der Rezeptur
fast aller bekannten Drogen sind die Völker der Neuen Welt Altmeister. Abhängig wurden die Urvölker vom
Drogengenuss freilich nie. Das verhinderten ihre religiösen, ihre sozialen Bindungen und Regeln,
geordnet von der Tabugewalt der Schamanen.
Ob zur Geisterbeschwörung, bei der Krankenheilung, als festliches Antriebsmittel oder als Ausgleich
gesellschaftlichen Drucks - Drogen aller Art sind nur eine Art Schmiermittel beim harten Regelvollzug
des Lebens im Regenwald. Um sich dessen Naturgesetzen zu unterwerfen, haben die Regenwaldvölker ihr
Anpassungsvermögen wie keine andere Menschengruppe strapaziert. Die Penan auf Borneo, die Mentawai vor
Sumatra, die Indianer Südamerikas - sie alle tun sich ungemein schwer, etwas Neues hinzuzulernen, denn
sie sind perfekt in ihrer Einheit mit der Natur. Es ist ihre Ganzheit, die sie durch uns westliche
Zivilisierte so verwundbar macht.
Verwundbar am schlimmsten durch eine Gesellschaft, in der ebenfalls Rauschgifte Usus sind. Die deren
Missbrauch aber nicht tabuisiert, sondern damit noch Geschäfte macht. Es ist weniger der technische
Fortschritt, es ist vielmehr die Berührung mit dem Geld und Alkohol, die fast alle Naturvölker an den
Rand des Ruins gebracht hat.