Bilanz der Entwaldung
Vor etwa 200 Jahren waren rund 16 Millionen Quadratkilometer um den Äquator herum mit noch weitgehend intaktem tropischem Regenwald bedeckt. Heute sind es Schätzungen zufolge nur noch rund 4 - 5 Millionen Quadratkilometer. Der größte Teil dieser Vernichtung erfolgte in den vergangenen 40 Jahren. Es wird geschätzt, dass in jeder Minute 6000 Bäume gefällt werden. Wenn die Entwicklung so weitergeht, sind die Regenwälder in ca. 35 Jahren verschwunden. Eine genauere Flächenangabe variiert je nach Quelle und der Definition, was als intakter oder degradierter Regenwald gilt. "Degradiert" beschreibt Wälder, die durch menschliche Eingriffe wie selektiver Holzeinschlag, Waldbrände oder deren Ränder von landwirtschaftlichen Flächen beschädigt wurden. Sie haben eine geringere Artenvielfalt, eine weniger dichte Baumstruktur und sind anfälliger für weitere Schäden. Etwa ein Drittel der verbliebenen Regenwälder sind demnach als degradiert anzusehen!
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Der Wald macht sie alle gleich
Trotz ihrer ethnischen Vielfalt haben sich die menschlichen Bewohner der Regenwälder von Australien
bis Brasilien auf ähnliche Weise dem grünen Kosmos angepasst. Darum ist es ihnen über Jahrtausende
gelungen, in und von dieser Umwelt zu leben, ohne sie zu schädigen. Ein Urwissen, das den
Kolonialisten bis heute fremd geblieben ist.
Vor allem die Beschränkung in der Materialkultur ist allen Regenwaldbewohnern eigen. Und wo Natur so
besitzergreifend ist wie im Regenwald, ist möglichst wenig Besitz Naturgesetz. Im wahrsten Sinne
Naturvölker, die in jahrtausende langer Anpassung an ihren Lebensraum dessen Artenvielfalt
gleichzeitig zu nutzen und zu meiden gelernt haben. Um im Regenwald überleben zu können,
entwickelten dessen Bewohner spezielle Techniken für die Ernährung und die Behausung sowie Drogen
und Tabus für die mentale Bewältigung des Unfassbaren. Inmitten von Abermillionen einander
unablässig fressender Spezies, einem System, das dem Menschen buchstäblich alles abverlangt, ähneln
sich zwangsläufig die Methoden der Selbsterhaltung. Deren oberste Regel: Energie sparen!
Tötungsgifte, Betäubungsmittel, Drogen - der Regenwald hält all das bereit. Ohne solche Substanzen
und deren gezielte Anwendung zu kennen, wäre der Mensch in dem grünen Labyrinth verloren, das für
Unkundige zum Irrenhaus wird. Denn das was in Salz-, Sand- und Eiswüsten die Artenarmut bewirkt, das
schafft im Regenwald dessen erdrückende Artenvielfalt: Wer sich darin nicht auskennt, für den wird
das grüne Universum auch zur “Wüste” - so der altindische Sanskrit-Begriff “jangala”, von dem sich
das englische Wort “jungle” ableitet.
Um in dieser extremen Wildnis existieren zu können, musste sich der Dschungelmensch an die Spitze
der unendlich langen Kette bereits vorhandener Lebewesen vorarbeiten, bis über die Könige der Wälder
hinaus. Er musste lernen, Jaguar, Tiger, Panther und Co. listenreich zu besiegen und der
unbezwingbaren Ameise letztlich aus dem Weg zu gehen.
Die ungefilterte Natur, die nackte Wucht der Wildnis hält kein Mensch aus - ohne Vermittler, ohne
Flucht aus der realen Welt in die Welt des Übersinnlichen, der Geister, der Ahnen, der Götter - zu
seinem Schöpfer. Ein Medium für solche Entrückung ist der Rausch, ein Schweben zwischen Tag und
Traum. In der Rezeptur fast aller bekannten Drogen sind die Völker der Neuen Welt Altmeister.
Abhängig wurden die Urvölker vom Drogengenuss freilich nie. Das verhinderten ihre religiösen, ihre
sozialen Bindungen und Regeln, geordnet von der Tabugewalt der Schamanen.
Ob zur Geisterbeschwörung, bei der Krankenheilung, als festliches Antriebsmittel oder als Ausgleich
gesellschaftlichen Drucks - Drogen aller Art sind nur eine Art Schmiermittel beim harten
Regelvollzug des Lebens im Regenwald. Um sich dessen Naturgesetzen zu unterwerfen, haben die
Regenwaldvölker ihr Anpassungsvermögen wie keine andere Menschengruppe strapaziert. Die Penan auf
Borneo, die Mentawai vor Sumatra, die Indianer Südamerikas - sie alle tun sich ungemein schwer,
etwas Neues hinzuzulernen, denn sie sind perfekt in ihrer Einheit mit der Natur. Es ist ihre
Ganzheit, die sie durch uns westliche Zivilisierte so verwundbar macht.
Verwundbar am schlimmsten durch eine Gesellschaft, in der ebenfalls Rauschgifte Usus sind. Die deren
Missbrauch aber nicht tabuisiert, sondern damit noch Geschäfte macht. Es ist weniger der technische
Fortschritt, es ist vielmehr die Berührung mit dem Geld und Alkohol, die fast alle Naturvölker an
den Rand des Ruins gebracht hat.
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