Fungizid und Dünger zugleich
Den Nahrung spendenden Pilzgärten droht fortwährend Gefahr, vor allem durch einen parasitären Schlauchpilz der Gattung Escovopsis. Zu dessen Abwehr tragen Arbeiterinnen am Körper Streptomyces-Bakterien, deren Stoffwechselprodukte obendrein die pilzlichen Symbionten düngen.
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Der Triumph des Kollektivs
Wie kleine Segel tragen Arbeiterinnen abgesäbelte Laubstückchen zum Nest - Futter für einen Nahrung
spendenden Pilz. Wie bei anderen Ameisen auch, herrscht unter Blattschneiderameisen präzise
Arbeitsteilung. Das perfekte Zusammenspiel der Millionen Individuen haben viele Biologen mit dem der
Neuronen eines menschlichen Gehirns verglichen. Das daraus geborene, komplexe, hochintelligent wirkende
Sozialsystem macht die Krabbeltiere zu den eigentlichen Herrschern des Regenwaldes.
Schwülwarme Dunkelheit und von tausend tropischen Nachtwesen erzeugte Geräusche umfangen mich. Ich
richte den gedimmten Lichtkegel meiner Taschenlampe auf den Waldboden. Und da sehe ich ihn - einen
handbreiten, wimmelnden Streifen. Abertausende Tiere hasten in einem scheinbar unendlichen, hektischen
Strom in beide Richtungen: Blattschneiderameisen der Art Atta colombica. Gespannt beobachte ich das
krabbelnde Heer, denn ich hoffe, Zeuge einer hochbrisanten Nacht-und-Nebel-Aktion zu werden: des Umzugs
eine Königin in ihren neuen Palast.
Ich befinde mich gemeinsam mit einem Biologen im panamaischen Regenwald auf Isla de Barro Colorado,
einer Insel im Gatúnsee, auf der die amerikanische Smithsonian Institution eine Feldstation betreibt.
Dort hat man 1996 beobachtet, wie eine komplette Kolonie mir ungefähr 2 Millionen Individuen umsiedelt.
Nur wenige Menschen hatten seither das Glück, Majestät live auf ihrem Umzug zu bewundern.
Über die Ursachen des gigantischen Unternehmens spekulieren Forscher bislang nur. Von einigen
europäischen Ameisenarten ist bekannt, dass sie ihren Bau aufgrund plötzlicher Umweltveränderungen
verlegen. Vielleicht hat das die “Blattschneider” ebenfalls zum Aufbruch gedrängt: Womöglich ist der
Boden zu feucht geworden oder hat ein Baumsturz den Nistplatz plötzlich direktem Sonnenlicht ausgesetzt.
Aber denkbar ist auch, dass Krankheit, Parasitenbefall oder Konflikte mit benachbarten Kolonien solche
Wanderungen auslöst.
Das neue Nest ist etwa 80 Meter vom alten entfernt. Die Baustelle am Fuß eines jungen Baumes ist eine
Fläche von gut drei Meter Durchmesser, bedeckt mit frischem Erdaushub, der sich um die vielen Ausgänge
häuft; ein Stück Mondlandschaft mitten im Urwald, das in den kommenden Wochen noch erheblich wachsen
wird.
Unermüdlich kommen Arbeiterinnen aus den Löchern. Jede trägt ein Klümpchen Boden zwischen den
Mundwerkzeugen, läuft hinauf zum Kraterrand und wirft ihre Last dort ab. Die Erdbewegungen bei einem
solchen Nestau erreichen unglaubliche Dimensionen: Eine nahe verwandte Art mit etwas größeren Kolonien
schichtete schon einmal über 20 Kubikmeter mit einem Gesamtgewicht von mehr als 40 Tonnen um.
Von drei Seiten nun strömen tausende Ameisen, jede ein Blattstückchen wie ein kleines grünes Segel
tragend, auf den Bau zu. Die handbreiten Erntestraßen verschwinden schließlich in einem der faustgroßen
Löcher im Erdboden. Die Fracht stammt in der Regel aus dem Kronendach des Waldes, nur selten beernten
die Tiere Pflanzen des Unterwuchses - so z.B. eine stattliche Aronstab-Staude unweit der Kolonie. Auf
jedem der großen Blätter sitzen mehrere Dutzend roter Ameisen und schneiden mit ihren Mundwerkzeugen
fingernagelgroße Fragmente aus. Innerhalb kurzer Zeit zerlegen sie die Staude bis auf die Blattrippen
und transportieren sie ab.
Die Pflanze hatte das “Pech”, von einem Scout entdeckt worden zu sein. Diese Kundschafter suchen die
Umgebung des Nestes nach geeignetem Futter ab und legen mit Hilfe von Pheromonen eine Duftspur zur neuen
Nahrungsquelle. Je besser die Qualität des Gewächses, desto höher die Pheromon-Konzentration.
Kolleginnen aus der “schneidenden Kaste” folgen der Markierung, finden auf diese Weise schnell geeignete
Blätter, ohne selbst Zeit mit der Suche verschwenden zu müssen.
Per chemischer Kommunikation koordiniert die Kolonie auch weitaus komplexere Verhaltensweisen. Jede
Ameise besitzt mehrere Pheromon-Drüsen, mit denen sie Nachrichten zusammenmischt - aus mindestens 20
“Wörtern”. Bei einer Begegnung betasten sich die Tiere gegenseitig mit ihren sensiblen Antennen und
tauschen so Informationen aus. Über kurze Entfernung verständigen sich “Blattschneider” auch über
Vibrationen.
Was aber geschieht mit den zigtausend Laubstücken, die wie am Fließband unter der Erde verschwinden? Die
Ameisen fressen sie keineswegs auf. Pflanzen bilden zwar ein schier unerschöpfliches Reservoir an
Energie. Die liegt jedoch in Form komplizierter Moleküle vor und ist, abgesehen von den Früchten, für
kaum ein höheres Lebewesen direkt nutzbar. Viele Mikroorganismen dagegen können mit speziellen Enzymen
die stabilen pflanzlichen Verbindungen knacken, die Zellulose der Zellwände etwa in Zucker spalten.
Einige Tierarten haben das Problem dadurch gelöst, indem sie buchstäblich unter die Landwirte gegangen
sind. Zur “Verdauung” der Blätter kultivieren sie spezielle Pilze. In den Tropen der Neuen Welt
verfolgen etwa 210 Ameisenarten diese Strategie, darunter 40 Spezies der “Blattschneider” aus den
Gattungen Atta und Acromyrex. Die Vorteile für die Insekten liegen auf der Hand. Doch auch der Pilz
gewinnt in der Partnerschaft: ein konstantes Klima, ständige Nahrungszufuhr und Schutz vor Feinden.
Die gegenseitige Abhängigkeit geht so weit, dass beide ohne einander nicht leben können.
Bernsteinfossilien und genetische Analysen weisen darauf hin, dass manche Ameisenarten bereits vor 50
Millionen Jahren Pilze züchteten. Diese faszinierend komplexe Beziehung lässt sich als
Schlüsselerfindung der Tierevolution einordnen, da sie eine beispiellose Erfolgsstrategie ist. Heute
dominieren Blattschneiderameisen in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet im tropischen Mittel- und
Südamerika die Insektenwelt und sind die bei weitem hungrigsten “Blattvertilger”. In manchen Gebieten
ernten sie bis zu 20 Prozent der gesamtem Laubfläche, mehr als irgendeine andere Tiergruppe.
Alles hängt am Pilz
Einem Badeschwamm gleicht der Pilzgarten, in den Ameisen der Gattung Acromyrmex Blattstückchen schleppen. Von den Nährkörperchen der Pilze leben vor allem Larven und Innenarbeiterinnen. Versagt der Schutz durch die Bakterien, die diese Tiere im Kopfbereich tragen, vermag der Parasit Escovopsis eine Kolonie binnen Tagen zu überwuchern.