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Sinnesleistungen - Highlife in der Finsternis
Wenn es dunkel wird unterm Kronendach, geht für das “Augentier” Menschen das Licht aus und seine Welt
schrumpft zusammen. Wesen, die nicht selbst leuchten oder lärmen, bleiben ihm verborgen. Aber viele
Kreaturen des grünen Kosmos erwachen dank andersartiger, sensibler Wahrnehmungsorgane erst jetzt zum
Leben. Für sie beginnt jetzt der eigentliche Tag: Dank raffinierter Sinnesleistungen starten sie im
Dunkeln zum Beutezug, gehen auf Partnersuche und sind auch in der Finsternis in der Lage, ihr
Territorium zu verteidigen.
Meister der nächtlichen Jagd sind Fledermäuse. Wie die mitunter nahezu blinden Flattertiere einen Weg
durchs Gewirr von Ästen und Blättern finden und wie dabei gar fliegende Insekten schnappen können, blieb
lange rätselhaft. Die meisten der weltweit rund 880 Fledermausarten (Microchiroptera) sind auf
Abstandsmessungen spezialisiert. Sie nehmen ihre Beute mit einem Trommelfeuer von bis zu 200
Ultraschall-Impulsen pro Sekunde ins Visier. Und um zu vermeiden, dass sich die Wellenzüge von Signal
und Echo zu einem undifferenzierbaren Klangbrei vermischen, beginnen die Tiere in einer Art Zirplaut bei
einer hohen und enden bei einer niedrigen Frequenz. Aus der Zeit bis zum Eintreffens des Widerhalls
bestimmen sie die Entfernung eines Flugobjekts - manchmal auf wenige Millimeter genau.
Andere Fledermausarten arbeiten mit längeren Pulsen konstant hoher Frequenz und nutzen dabei den
Dopplereffekt. Die Flugsäuger “errechnen” aus dem Doppler-Echo eines Insekts dessen Geschwindigkeit und
Bewegungsrichtung sowie Details über Größe, Oberfläche und Gestalt. Manche Gattungen erkennen somit ihre
favorisierte Speise schon am Flügelschlag.
Im evolutionären Wettlauf haben allerdings auch die Gejagten Überlebensstrategien entwickelt. Einige
hören ihre Jäger mit eigenen Ultraschallempfängern ab. Geraten sie in die Peilung einer Fledermaus,
veranstalten sie jähe Flugmanöver oder lassen sich blitzschnell zu Boden fallen.
Im Gegensatz dazu hat die Liane Mucuna holtonii eine Konstruktion hervorgebracht, die in jedem Fall die
Aufmerksamkeit einer bestimmten Fledermaus erregen soll. Die Pflanze trägt auf einem Blütenblatt einen
akustischen Rückstrahler, der die Ortungsrufe der Spezies Glossophaga commisarisi perfekt zurückwirft.
Derart angelockt und mit Nektar für seinen Besuch belohnt, belädt sich das Tier unfreiwillig mit Pollen
der Liane, trägt diese zu einer anderen Blüte und sorgt so für die Bestäubung der Pflanze.
Andere Regenwald-Geschöpfe erschließen sich dank eines Extrasinns eine für den Menschen unbekannte Sicht
der Welt: Sie sehen z.B. Infrarotlicht, das wir als Wärme nur spüren können. Grubenottern, Boas und
Pythonschlangen können daher ihre Beute, bis zu 42 Grad Celsius warme Säugetiere und Vögel, in der
nächtlichen Pflanzen-Kulisse leicht ausmachen.
Während Menschen solche Abläufe völlig verborgen bleiben, sehen sie immerhin die Lichtsignale vieler
Tiere - ohne deren genaue Bedeutung zu erahnen. Etwa jene des Gefunkels, das manche Insekten, Algen,
Pilze und Bakterien in den Nächten veranstalten. Ein besonders eindrucksvolles Schauspiel bieten
Leuchtkäfer an asiatischen Küsten. Tausende Männchen versammeln sich dort in Mangrovenbäumen zur Balz.
Zunächst blinken sie noch regellos durcheinander. Doch schon bald stimmen sie ihre Locksignale präzise
aufeinander ab. Vermutlich dient den Weibchen dieses Schauspiel der leichteren Aufspürung eines
passenden Partners. Restlos geklärt sind die Lichtspiele indes noch nicht.
So wenig wie auf Augen und Ohren, kann der Mensch sich im dunklen Regenwald auf seinen “Fernsinn”
verlassen: Das Riechen. Zwar reizen manche Blütendüfte und Modergerüche die Nase. Doch eine Menge
feinerer Aromen bleibt uns verborgen. Dabei kommunizieren Pflanzen und Tiere vielfach über chemische
Botenstoffe - sei es, um Artgenossen zu warnen, Spuren zu legen oder Partner zu locken. Unser Wissen
über solche Pheromone stammt vor allem aus Studien an Insekten. Als besonders variantenreich entpuppte
sich dabei der molekulare Wortschatz sozial lebender Ameisen, Bienen, Wespen und Termiten.
Millionen Jahre Zeit hatte die Natur, um die Sinnesorgane der Regenwald-Geschöpfe zu perfektionieren.
Deren Effizienz forderte Bioniker zur Nachahmung heraus. Im Vergleich jedoch zeigen die natürlichen
Vorbilder sich den Ingenieurstücken meist deutlich überlegen.