
Rinorea sp. (unbestimmte Veilchen-Art)

Rinorea sp. (unbestimmte Veilchen-Art)
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Die Kehrseite der Vielfalt
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Botanische Erkundungen im unerschlossenen Süden des Landes
Die letzten Schatten der Nacht verwehen über dem Essequibo. Der Fluss mäandert durch unberührten
Regenwald im Süden Guyanas. Hier gedeihen die Pflanzen in Hülle und Fülle, die in den Sammlungen der
wissenschaftlichen Herbarien fehlen. Und um solche Gewächse aufzuspüren, unternehmen Botaniker die
abenteuerlichsten Expeditionen.
Hauptaufgabe dieser Expedition ist die Inventur der Pflanzenvielfalt und der Pflanzenverteilung,
aber auch die Jagd nach unbekannten Arten. Sammeln ist der Anfang der Erkenntnis. Seit Tagen sitzen
wir zwischen Pflanzenhaufen und machen Notizen aus fortlaufenden Zahlen. Sie sind der lebenslange
“Pass” der Pflanzen: Mit ihnen werden sie unter rund 5 Millionen anderen im Herbarium der
Smithsonian Institution untertauchen - und doch immer wieder auffindbar sein.
Ich bin in eine enzyklopädische Unternehmung geraten, denn all die Pflanzen sind Puzzleteile beim
Versuch, die Flora dieses Waldgebiets in Guyana wissenschaftlich zu beschreiben. Die ehemalige
britische Kolonie ist ein Land, das noch reich ist an unzerstörten Regenwäldern. Eine "Checklist"
führt 6600 Gefäßpflanzen und Moose auf – wenig im Vergleich zu botanisch besser erfassten Ländern
wie Ecuador mit schätzungsweise 13.500 Pflanzenarten und Kolumbien mit 50.000. Wie reich also ist
Guyana wirklich? Was wächst hier eigentlich?
Das Dorf Gunn’s Strip bildete den Ausgangspunkt der Expedition. Von dort wollten wir irgendwann in
den Wassarai-Bergen ankommen. Kein Wissenschaftler, keiner aus dem Dorf war je in den Wassarais,
selbst für die Fischer und Jäger liegen diese Berge jenseits ihrer Welt. Nur ungefähr 250 Leute,
Wai-Wai-Indianer zumeist, leben in Gunn’s Strip. Sie sind die einzigen Bewohner von 7 Millionen
Hektar Urwald. Ihr Dorf ist das einzige in einem geschlossenen Wald von der 1,7fachen Fläche der
Schweiz. Denn südlich des 4. Breitengrades ist Guyana “Hinterland”: So nennen die 840.000 Guyanesen,
die fast alle an der Küste wohnen, die vergessene grüne Hälfte ihres Staatsgebiets.
Nach Gunn’s Strip führt keine Strasse. Wir fliegen von Georgetown 3 Stunden lang nach Süden, und als
das kleine Flugzeug auf die Landeschneise zu taumelt, schicke ich Stoßgebete an die Götter des
Waldes. Manchmal landet hier ein Regierungsflugzeug - wenn sich in der Hauptstadt jemand an diesen
Außenposten der Zivilisation erinnert. Wer im Dorf Seife braucht oder Salz, der setzt sich in sein
Boot und paddelt 11 Tage geht noch mal 3 bis zum nächsten Laden.
Deswegen haben wir “Handelsware” mitgebracht: Äxte, Feilen, Macheten, Angelhaken usw. Wir verkaufen
nicht, wir tauschen; die Wai-Wai sind Fischer, Jäger, Bauern, kaum einer hier hat Bargeld.
Blümchenstoff gegen Bananen, Orangen, Ananas, Gummistiefel und Macheten gegen Arbeitsstunden.
4 von ihnen werden uns begleiten. Wir beladen die 3 Kanus mit, u.a. 250 Liter Benzin, 45 Liter
Alkohol zum Konservieren der Pflanzen, 55 Kilo Zeitungen, 450 Kilo Lebensmitteln, Hängematten,
Moskitonetzen etc.
Unsere Karten sind relativ exakt. Die großen Flüsse, die Gebirgszüge tragen Namen. Kassikaityu und
Kamoa: Auf dem Kamoa River werden wir zum Fuß der Wassarais fahren. Bis zu 1135 Meter sind sie hoch,
sie ziehen sich an der Grenze zu Brasilien entlang. Sonst sind da nur namenlose Höhenlinien, und ab
und zu, erratisch über das Papier verteilt, als hätte der Kartograph die Fläche füllen wollen, zwei
Worte: Dense Forest.
In mir schwindet kurz nach dem Aufbruch die Gewissheit, im Jahr 2017 zu leben. Die Bilder um mich
herum überblenden einander. Filzige Vegetationswände wachsen am Ufer empor: Ein Dickicht aus
Stämmen, Baumkronen, Lianen, Epiphyten. Alles reckt sich und fällt übereinander her im Drang zur
Sonne. Vor uns Flussbiegungen und hinter uns und ewig so weiter: Der Wald saugt uns ein und schließt
sich hinter uns, als wollte er uns den Rückweg verstellen.
Verloren fahren die Boote durch die Kulisse. Wir kauern zwischen Eimern und Bündeln, winzige
Zuschauer in einem riesigen Naturtheater, und immer warten auf den nächsten Akt: auf die Sturzflüge
der Eisvögel. Aufs torkelnde Schwalben-Ballett. In den Bäumen rasen Affen. Und Faultiere sind
tatsächlich faul. Grüne Ibisse sitzen nebeneinander auf den Ästen wie alte Männer auf Parkbänken. Im
Ufergestrüpp sonnen sich Anacondas. Manchmal ein Gekreisch in der Luft wie von rolligen Katzen:
Riesenotter. Sie schwimmen zu fünft, zu sechst in kampfbereiten Phalanxen auf uns zu, die
wasser-lackierten Köpfe emporgestreckt.
Tage vergehen. Im Immergleich der Stunden kommt uns die Zeit abhanden. Wir brauchen sie nicht mehr.
Die Sonne verbrennt uns. Ein anderer Lebenstakt diktiert jetzt unerbittlich unsere Tage: Das Flirren
der Mittagshitze. Der Einbruch der lackschwarzen Nacht. Die regelmäßigen Schauer. Am Spätnachmittag
verstellen Wolkenberge das vollkommene Blau des Himmelsgewölbes, treiben auf uns zu, schwefelig,
wetterleuchtend, mit dumpfem Dröhnen.
Plötzlich ist der Fluss weniger als sieben Meter breit, und was Wind und Wasser umgerissen haben,
liegt uns im Weg: Baumstämme, Astdickicht. Wir werden von Stunde zu Stunde langsamer, trotz dem Mann
mit der Motorsäge. Er balanciert im Bug, mit einem Bein auf dem Hindernis, den Kopf zur Seite
gedreht gegen den Flug der Späne. Dann am Ende des dritten Tages, 184 Flusskilometer von Gunn’s
entfernt, weiß keiner mehr weiter. Der Kanal gabelt sich. Nach links? Nach rechts? Palaver: Zwei
Männer entscheiden gemeinsam, der eine mit seinem Satelliten-, der andere mit seinem
Wald-Wissen.
Bis zu 10 m Wasserstandsunterschied muss der Uferwald in diesem Tal-Flussabschnitt aushalten (großes
Foto oben). Die Landschaft spiegelt das Drama des zyklischen Wechsels zwischen Überschwemmung und
Trockenheit. Das Leben am Fluss ist meistens kurz. Hier muss man Sprinter sein beim Wachsen, bei der
Fortpflanzung, Cecropia zum Beispiel, mit ihrem schlanken Stamm: Biegsam ist sie, zäh, wenn der
Fluss nach dem Land schlägt, Fluten an Wurzeln reißen, Waldstücke ertrinken.
Die Mannshohen Granitblöcke sind mit Moos überzogen und gerundet von der Ewigkeit, die sie hier
liegen. “Blaufrosch-Hügel” haben wir das Plateau im Wald, zwei Wandertage vom Fluss entfernt,
genannt, weil wir Pfeilgiftfrösche zwischen den Wurzeln des Baumes aufgescheucht haben, der allein
zwischen den Felsen wächst. Er ist so mächtig, dass wir ihn zu dritt nicht umfassen können - eine
Rarität, denn die meisten Bäume in diesem Wald sind schlanker.
Der Blaufrosch-Hügel ist ein außergewöhnliches Landschaftszeichen im maßlosen Immergleich dieses
Waldes. Es ist paradox: Ich weiß um dessen Vielfalt und sehe sie nicht. Ich lehne an den Steinen,
mein Blick irrt durch das in Vertikale schießende Grün und verliert sich. Ich starre in den Wald wie
ein Erstklässler auf die Seite seines Lesebuches: Die fremden Zeichen Zeichen fallen ineinander,
ergeben keinen Sinn. Detail verschlingt Detail. Am Ende bleibt der Eindruck unendlicher
Uniformität.
Veilchen so groß wie Bäume
Ein Veilchen, Gattung Rinorea, Familie Violaceae, für mich bislang aus heimischen Gefilden bekannt als Frühblüher Viola odorata, fingerlang, lilafarben, zart, duftend. Diese Beschreibung ist aber völlig untypisch für die Violaceae-Familie, weil sie zur europäischen Gattung gehört. Hier im Süden von Guyana wachsen die Veilchen-Arten in den Himmel: Rinorea wächst 8 bis 10 m hoch und ist Mitglied einer weitläufigen Familie mit über 900 Arten, nur 12 davon in Zentraleuropa. Europa ist ja bekanntlich ein Witz, wenn es um Pflanzenvielfalt geht. Die Veilchen-Familie ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Voreingenommenheit, die wir in den gemäßigten Breiten entwickeln, unsere botanische Wahrnehmung färbt.

Rinorea sp. (unbestimmte Veilchen-Art)
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